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Gentle Leadership, oder wie bekommt man Leute dazu, sinnvolle Vorhaben zu unterstützen

Wiederholungen haben zweifelsohne eine Kraft, doch führt Vehemenz allein selten zum gewünschten Ziel. Was helfen kann, Ziele einfacher zu erreichen, leichter, und mit einem besseren Gefühl für alle Beteiligten? Sogwirkung entfalten, statt drücken, zerren und ziehen. Doch wie kann das gelingen?

Ein goldener Oktobertag, der dazu einlädt, die Mittagspause unter blauem Himmel zu verbringen. Auf meinem Weg aus dem Haus registriere ich, dass die Zettelsammlung an der Hoftür sich zwischenzeitlich wieder vergrößert hat. Der Inhalt? Mehr desselben Wunsches. Neben einem Zettel in englischer Sprache prangen nun zwei weitere, identische Zettel links und rechts der Flügeltür. Bitte Die Tür Immer Schließen! Den farbig hinterlegten und in Großbuchstaben getippten Text höre ich schon etwas lauter. Tür zu, verdammt! 😩

 

Vehement, aber wirkungslos trotz aller Deutlichkeit. Eine als Aufforderung verpackte Bitte - ohne Sogwirkung.
Vehement, aber wirkungslos trotz aller Deutlichkeit. Eine als Aufforderung verpackte Bitte – ohne Sogwirkung. Fundort: Ein Mehrparteien-Mietshaus in Berlin-Kreuzberg.

 

Verpuffende Vehemenz | Als Forderung verkappte Bitten

Die Zettel zeigen verschiedene Eskalationsstufen vom ersten zum (vorerst) letzten Schild: Oben das kleine Schild der Hausverwaltung, dann hat der Hauswart persönlich die Botschaft in neuem Gewand hinzugefügt. Aus ihm spricht bereits eine Vehemenz, die mithilfe strukturierender Textgestaltung um Beherrschung ringt. Dann – weil es ja in deutscher Sprache nicht zu klappen scheint, nochmal in gelb, auf englisch. Und dann noch einmal handgeschrieben, etwas nachlässiger, doch dafür mit extra persönlicher Note. Die handschriftlich ergänzten, inhaltlich identischen Zettel wirken etwas nachlässiger angebracht, doch untermalt das Ausrufezeichen die Ernsthaftigkeit der vorgetragenen Bitte.

Ich muss schmunzeln und bin gleichzeitig erstaunt über den hartnäckigen Irrglauben, immer mehr vom Gleichen in immer lauterer vehementerer Form dargeboten würde bewirken, dass Menschen Aufforderungen Folge leisten. Das ist ähnlich absurd wie die schon oft beobachtete Tendenz mit Menschen, die eine andere Sprache sprechen als man selbst, lauter zu sprechen. Als würde Lautstärke fehlende Vokabeln ersetzen. Doch zurück zum Thema.

Warum lassen sich Menschen denn so ungern zu Sachen auffordern, die sie nicht selbst initiiert haben, ihnen also dem Empfinden nach aufgepfropft werden oder die ihnen von ihrer Blickrichtung aus (noch) nicht einleuchten? Kindlicher Trotz? Oder eher ein dialektischer Reflex wie der aus Druck und Gegendruck? Gegendruck, um nicht zu sagen Widerstand, kann ja auch eine sinnvolle und stabile Reaktion sein. Doch was tun, wenn das Anliegen, das sich hinter einer Bitte verbirgt, berechtigt und sinnvoll ist? Wie kann es gelingen, eine Bitte wie eine aufrichtige Einladung klingen zu lassen und nicht wie eine Aufforderung mit einem Drall hin zur Maßregelung?

Im provokativen Coaching gibt es einen Satz, der einer so angebotenen Person erfahrungsgemäß äußerst effektiv eine andere Sichtachse eröffnet: Was musst du machen, damit die Situation noch schlechter oder schlimmer wird? In einem idealtypischen Gesprächsverlauf würde die zettelklebende Person in der Beantwortung dieser Frage wohl recht schnell darauf kommen, dass sie noch mehr Zettel, mit noch mehr Fettdruck oder Ausrufezeichen ❗️oder GROßBUCHSTABEN an die verbliebenen freien Stellen der Tür kleben könnte. Und dass sich einige derjenigen, die die Zettelei bislang ignoriert haben, nun vielleicht zu kessen Repliken hinreißen lassen könnten. Immer wieder zu sehen bei der sehr unterhaltsamen Kuriositätensammlung aus dem zwischenmenschlichen Alltag: Notes of Berlin.

 

Umgang mit Widerständen | von Pinguinen und Achterbahnen

In der Kommunikation von Veränderungen – und nichts anderes ist die Bitte eine Tür, die offensichtlich (zu) oft offen steht, künftig möglichst immer geschlossen zu halten – kann es bessere Effekte erzielen, den Hintergrund und die Sinnhaftigkeit der angestrebten Veränderung zu vermitteln. Von der Perspektive eines „Ich sage, ihr sollt“ in ein „Wir“ zu wechseln, das jeder einzelnen Person ermöglicht, sich als Teil und somit mitverantwortlich für den Erfolg der Maßnahme zu fühlen. In diesem Fall eine neue Version von „Tür zu, büdde, verdammt 😉“, die um Verständnis wirbt, indem sie Kontext liefert und Empathie weckt.

John Kotter zeigt in seiner Fabel Das Pinguin-Prinzip auf, wie sich konstruktive Stufen bauen lassen für einen partizipativen Changeprozess, der vornehmlich gelingt, weil er anfängliche Widerstände (an)erkennt, sympathische und glaubwürdige Agenten für den notwendigen Wandel identifiziert, durch Partizipationsangebote zur Übernahme von Verantwortung anspornt und durch das Feiern von kleinen Erfolgen und Teilschritten in der Gemeinschaft das Zusammengehörigkeitsgefühl stärkt. Was wiederum einen Sog in die gewünschte (oder zumindest bessere, sichere, ressourcevollere) Richtung ermöglicht.

 

Die 4 Phasen und 8 Schritt des Changeprozess nach Kotter – Beitrag eines meiner Kursteilnehmers im Changemanagement-Kurs an der HWR Berlin

In Führungsstark im Wandel zeigt Alexander Groth die Phasen auf, die Beteiligte in organisationalen Veränderungsprozessen durchlaufen: Verneinung, Zorn, Depression, Akzeptanz und Integration einteilen lassen. Die Basis hierfür liefern Rückbezüge auf die Trauerkurve Elisabeth Kübler-Ross als Ergebnis soziologische Untersuchungen von Verlaufsformen im Trauerprozess aus den 1960er Jahren.
Sowohl in beruflichen Changeprozessen als auch in der individuellen Verarbeitung von Verlust- und Veränderungserfahrungen werden diese Phasen zu unterschiedlichen Zeitpunkten eingeläutet, schneller oder langsamer durchlaufen und in unterschiedlicher Amplitude und Frequenz erlebt, je nach Position und Rolle im spezifischen Kontext – und nach individuellem Temperament. Auch das Zurückfallen in eine zuvorige, bereits durchlaufene Stufe oder das Steckenbleiben in einer der Phasen, ist (leider) jederzeit möglich. Daher ist es so wichtig, menschliche Widerstände gegen Verlusterfahrungen und Veränderungen, die sie nicht aus einem starken inneren Motivation heraus selbst angestoßen haben, ernstzunehmen und entsprechend zu begleiten.

 

Die Emotionale Achterbahn, so dargestellt von A. Groth in seinem Buch Führungsstark im Wandel

 

Von der Vehemenz zu sanften Klarheit

Zurück zu unserer Anekdote des nachbarschaftlichen Ringens um eine geschlossen zu haltende Tür… wäre nun die Frage, wie sich ein besserer Erfolg erzielen ließe, außer über immer neue Gestaltungsansätze (Typografie, Anzahl der Ausrufezeichen, farbige Markierungen) das Gleiche zu fordern. Ein weiterer Coachingansatz lautet ja: Wenn etwas gut läuft, mach mehr davon, und wenn nicht, probier mal etwas anderes. Diesen Impuls im Ohr… wäre es frech, versuchsweise all die Zettel abzureißen und durch einen neuen zu ersetzen, die zum mitfühlen und mitmachen einlädt? Ließe sich bereits durch eine direkte Ansprache eine emotionale Verbindung erlebbar machen? „Liebe hier Wohnende, liebe Nachbarn“. Wäre die als Bitte verkleidete Aufforderung weniger leer, wenn ihre Botschaft für den Anlass zu sensibilisieren versuche, der zu der Bitte geführt hat? „Wiederholt sind in unserem Innenhof Leute unterwegs, die hier nicht wohnen und auch niemanden besuchen, der hier wohnt“ und die mögliche Konsequenz benennt, die daraus resultiert? „Bereits zwei Anwohnenden wurden Fahrräder entwendet, was ärgerlich ist und vielleicht zukunftig vermeidbar, wenn wir alle uns wieder angewöhnen, die Hoftür zu schließen“ … oder „die Hausverwaltung hat im Zusammenhang mit der letzten Betriebskostenabrechnung darauf hingewiesen, dass sie Sperrmüll unbekannter Herkunft, der in unserem Hof landet, wiederum uns als Mietergemeinschaft in Rechnung stellen müssen. In meiner Rolle als Hauswart bitte ich euch um Unterstützung…“ oder was auch immer mögliche oder tatsächliche Auslöser für die vehement gesteigerte Zettelwirtschaft gewesen sein mag. Ich werde es mal probieren. Ganz gentle. Denn für noch mehr Zettel ist kaum noch Platz auf der Tür und sie steht immer noch sperrangelweit offen. Schlimmer kann es in diesem Fall also kaum mehr werden.

Besteht bei Dir oder in Deiner Organisation gerade die Notwendigkeit, an Veränderungsprozessen zu arbeiten? Hat die Reise auf zu neuen Ufern bereits begonnen, aber nun steckt ein Teil der Beteiligten steckt fest und ihr kämpft immer wieder mit Widerständen auf unterschiedlichen Ebenen? Versucht noch mal ein Coaching, das bewegt oder einen Workshop, der was bringt mit commotivation und nehmt bei Interesse gern Kontakt mit mir auf.

 

Kirsten Kohlhaw

In Berlin lebe ich seit der Jahrtausendwende. Seit 2005 arbeite ich selbstständig, solo und mit Partnern in beweglichen Netzwerken. Nach einigen Jahren als Assistenz und Junior Producer bei Film und Fernsehen, wo ich von der Stoffentwicklung bis zur...

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